Während Blutplättchen vor allem für ihre prominente Rolle in der Gerinnselbildung im Rahmen von Blutgerinnung und Thrombosen bekannt sind, haben Erkenntnisse des vergangenen Jahrzehnts eine Vielzahl neuer Plättchenfunktionen untersucht, die Thrombozyten als wichtigen Teil des Immunsystems hervorheben. Hierzu gehört die erstmals von Dr. Dr. Florian Gärtner und KollegInnen (Cell, 2017) beschriebene und von PD Dr. Leo Nicolai und KollegInnen (Nature Communications, 2020) weiter untersuchte Fähigkeit von Blutplättchen, sich autonom fortzubewegen und entlang der Gefäßwand zu „wandern“ oder migrieren. Während vorangegangene Studien den Stellenwert der Plättchenmigration im Rahmen von Entzündung und Infektion untersuchten, ist bislang unklar, welche intrazellulärer Signalkaskaden und Effektormoleküle für die aktive Migration von Thrombozyten wichtig sind.
Im Rahmen eines interdisziplinären, translationalen Forschungsprojekts haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Dr. Kaiser, Dr. Dr. Gärtner und PD Dr. Nicolai nun die zugrundeliegenden Mechanismen, die Plättchen „wandern“ lässt, identifiziert. Hierfür nutzten die Forscherinnen und Forscher einerseits funktionelle Experimente mit isolierten Blutplättchen, andererseits aber auch komplexe Mausmodelle der Entzündung. So konnte ein Komplex aus den Proteinen GPIIBIIIA/Galpha13, 14-3-3ζ und c-Src identifiziert werden, die essentiell für die Plättchenmigration zu sein scheint: Eine Hemmung jedes einzelnen Bestandteils dieses Komplexes sowie zellulärer Bestandteile wie dem Myosin- und Aktinzytoskelett führte dazu, dass sich Plättchen nicht mehr autonom fortbewegen können und so beispielsweise im Rahmen eines Modells der Lungenentzündung die Integrität des Gefäßsystems nicht mehr aufrechterhalten werden kann.
Eines dieser Bestandteile, das Protein c-Src, ist Zielstruktur in der Therapie von PatientInnen, die an chronisch myelozytären (CML) oder akut lymphozytären Leukämien (ALL) leiden. Allerdings ist die Behandlung mit dem c-Src/BCR-ABL-Inhibitor Dasatinib, der zur Erstlinientherapie beider Erkrankungen gehört, neben einer deutlichen Neigung zur Thrombozytopenie mit einem hohen Blutungsrisiko beispielsweise der gastrointestinalen Schleimhaut gekennzeichnet, die bis zu 40% der mit Dasatinib behandelten PatientInnen betreffen kann. Die ForscherInnen konnten nun zeigen, dass diese Blutungsneigung möglicherweise auf eine Dasatinib-induzierte Verminderung der Plättchenmigration zurückzuführen ist: Thrombozyten von Dasatinib-behandelten PatientInnen zeigten eine signifikante Reduktion der Migration im Vergleich zu PatientInnen, die mit anderen BCR-ABL-Inhibitoren behandelt wurden. Somit weisen die ForscherInnen eine direkte translationale Relevanz der molekularen Mechanismen der Plättchenmigration nach.
Die in enger Zusammenarbeit mit der Medizinischen Klinik III für Hämatologie und Onkologie erhobenen Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift Blood publiziert und ziert das Titelbild der aktuellen Ausgabe (Volume 141, Issue 24).
Link zur Studie:
https://ashpublications.org/blood/article/141/24/2973/495209/Mechanosensing-via-a-GpIIb-Src-14-3-3-axis
Editorial: https://ashpublications.org/blood/article/141/24/2917/496249/The-hemorrhage-risk-of-dasatinib-therapy